Pforzheimer Nachhaltigkeitsforscher Prof. Dr. Mario Schmidt erntet im Audimax großen Beifall.
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Im sehr gut besuchten Walter-Witzenmann-Hörsaal (Audimax) der Hochschule Pforzheim hat der Pforzheimer Umweltforscher Professor Dr. Mario Schmidt am Mittwoch, den 5. Juni, in einem brillanten Vortrag beim Studium Generale die Zukunft der Rohstoffe erläutert. Der Direktor des Instituts für Industrial Ecology (INEC) an der Hochschule sprach über das Thema „Gehen uns die Rohstoffe aus? Ressourceneffizienz und nachhaltige Industriegesellschaft“.
Die wissenschaftliche Leiterin, Dr. Christa Wehner, Professorin für Marktforschung und Konsumentenpsychologie an der Hochschule, begrüßte Mario Schmidt, der als Professor für Ökologische Unternehmensführung schon seit 20 Jahren in Pforzheim lehrt und seit 2010 das INEC leitet. Gleichzeitig eröffnete Christa Wehner auch den Themenhorizont. „High-Tech-Produkte wie Smartphones brauchen immer exotischere Stoffe wie Tantal, Indium, Dysprosium oder Neodym“, so Wehner. China beherrsche inzwischen den Rohstoffmarkt und beute seine Ressourcen ohne Rücksicht auf die Umwelt aus. Deshalb gehe, insbesondere seit dem berühmten Bericht des „Club of Rome“ die Angst um, der Menschheit könnten die Rohstoffe ausgehen. „Was ist also dran an diesen Befürchtungen? Warum sind Recycling und „Circular Economy“ wichtig?“, fragte Wehner und übergab damit an Mario Schmidt.
„Die Frage ist einfach, die Antwort jedoch komplex“, sagte Mario Schmidt, der Mitglied im baden-württembergischen Nachhaltigkeitsbeirat und in zahlreichen nationalen und internationalen Fachgremien ist. Schmidt forscht seit Jahren zum Thema Ressourceneffizienz und hat seinen Beitrag fürs Studium Generale passenderweise auf den Nachhaltigkeitstag der Hochschule terminiert.
Prognosen für Rohstoffbedarf zeigen nach oben
Schmidt spannte einen weiten Bogen aus der Vergangenheit bis in die Gegenwart und weiter in die Zukunft. „Wahrscheinlich ist es das große Menschheitsthema überhaupt, wie wir an die Rohstoffe kommen, die wir für unsere Art zu leben benötigen“, sagte Mario Schmidt. Heute werde das zehnfache an Rohstoffen gewonnen wie noch vor 100 Jahren. Schuld daran sei das Bevölkerungswachstum, aber auch der gestiegene Wohlstand der Menschheit. Keinen Zweifel ließ Schmidt daran, dass dieser Wohlstand in der Welt ungleich verteilt sei, und ein Großteil der Menschheit hier noch einen großen Nachholbedarf habe. „Die Prognosen für den Rohstoffbedarf zeigen selbst im vorsichtigen Fall alle nach oben“, meinte Schmidt.
Die vielfach zitierten Argumente, dass uns in absehbarer Zeit die Rohstoffe ausgehen, konnte der Umweltwissenschaftler minutiös widerlegen. Hier ging er mit seinem eigenen Berufsstand hart ins Gericht und kritisierte, dass viele Fakten falsch interpretiert würden. So würden die sogenannten Reichweiten von Rohstoffen immer wieder für Unruhe in der öffentlichen Diskussion führen. Sie seien aber immer nur Momentaufnahmen des derzeitigen Wissens über die Rohstoffvorkommen. „Es ist ein Fehler zu glauben, wir hätten die Erde bereits komplett kartiert und würden alle Rohstoffvorkommen kennen oder erahnen“, so Schmidt.
Auch die Preisentwicklung oder die Analyse von Fördermengen, die so genannten Peak-Kurven, seien trügerisch. Besonders ausführlich behandelte er die Beobachtung, dass die Metallkonzentrationen im geförderten Erz seit Jahrzehnten zurückgehen. Dies sei seiner Meinung nach ein Effekt der technischen Innovation und wirtschaftlicher Investitionsstrategien. Das hätten aktuell laufende Doktorarbeiten an seinem Institut ergeben.
Trotzdem gebe es im Zusammenhang mit den Rohstoffen eine Knappheit, diese läge aber in dem steigenden Energiebedarf und den Umweltbelastungen, die mit der Rohstoffförderung verbunden sind. Die Metallgewinnung trage zu etwa 10 Prozent an den weltweiten Treibhausemissionen und damit zum Klimawandel bei. Dies müsse dringend reduziert werden, so Schmidt.
Der Professor war skeptisch, ob man das Problem durch Recycling grundsätzlich lösen könne. „Close the Loop“ sei eine falsche Metapher, da man den Kreislauf schon aufgrund physikalischer Gesetze nie vollständig schließen könne. Recycling und auch das Trennen von Abfällen seien sinnvoll und müssten in vielen Bereichen noch gesteigert werden. Aber auch Recycling brauche Energie und belaste die Umwelt, und es gebe sogar Beispiele, wo die Wiedergewinnung von Metallen aus Produkten mehr Energie benötigt als deren Gewinnung aus Bergwerken.
Deutschland hat keine Rohstoffpolitik
Sein Fazit war einerseits beruhigend, denn die Menschheit muss auf absehbare Zeit keine Angst vor dem Versiegen ihrer Rohstoffquellen haben. Andererseits war seine Einschätzung alarmierend, nämlich dass es in Deutschland keine Rohstoffpolitik gebe, die ihren Namen verdient. „Recycling ist ohne Grundstoffindustrie nicht machbar. Genau die wird aber mit dem Argument des Umwelt- und Klimaschutzes aus Deutschland verdrängt“, kritisierte Schmidt. Die Politik klebe an nationalen Klimaschutzzielen und berücksichtige nicht, dass Verlagerungseffekte – z.B. von energieintensiver Industrie nach China – dem Klima unter dem Strich mehr schaden.
Mit großem Beifall verabschiedete das Publikum Mario Schmidt und setzte den Abend mit regen Diskussionen im Foyer des Audimax fort.
Quelle(n): pm