Virtueller Vortrag des Studium Generale zu den volkswirtschaftlichen und steuerlichen Folgen von Corona.
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Corona ist das beherrschende Thema in diesem Jahr, seit einigen Tagen befinden wir uns erneut in einem Lockdown. Viele Kultur- und Freizeiteinrichtungen sind geschlossen, zahlreiche Unternehmen auf finanzielle Hilfe angewiesen. Diese Hilfe in Form von Kurzarbeitergeld, Liquiditätshilfen oder auch Bürgschaften hat die Bundesregierung kurzfristig auf die Beine gestellt. „Für viele Betriebe sind diese Programme einerseits der rettende Strohhalm, andererseits stellen sie uns vor große Herausforderungen im Hinblick auf die Finanzierung“, so Professorin Dr. Frauke Sander, wissenschaftliche Leiterin des Studium Generale der Hochschule Pforzheim, in ihrer Begrüßung. Die Pforzheimer Professoren Dr. Dirk Wentzel und Dr. Thomas Stobbe, StB, beleuchteten diese Herausforderung und mögliche Lösungen in ihrem Vortrag „CORONA – Wer zahlt die Zeche? Volkswirtschaftliche und steuerliche Auswirkungen“. Corona-bedingt wurde das Studium Generale erstmals ausschließlich über einen Livestream angeboten.
Dirk Wentzel, Professor für Europäische Wirtschaftsbeziehungen, sprach über die volkswirtschaftlichen Folgen der Pandemie. Noch vor sechs Wochen habe Deutschland verhältnismäßig gut dagestanden, aber mit fast 20.000 Neuinfektionen an einem Tag sei die Situation aktuell sehr ernst. „Die Wirtschaft hat sich seit Beginn der Pandemie zwar relativ gut erholt. Allerdings haben wir die Wucht der zweiten Welle völlig unterschätzt. Und das ist keine rein gesundheitspolitische, sondern eine ökonomisch hochgradig relevante Zahl“, so Dirk Wentzel. „Die Pandemie folgt den Gesetzen der Exponentialfunktion und wir sind in eine sehr starke Wachstumsdynamik geraten. Verdoppeln sich die Zahlen weiter, kollabiert das Gesundheitssystem und wir können jegliche Diskussion über Kosten sein lassen“, so Wentzel. Die ökonomische und die gesundheitspolitische Sicht liefen dabei nicht nebeneinander, sondern seien miteinander verwoben. Die Ansteckungen sowie die makroökonomischen Kosten seien Ableitungen ein und derselben Funktion. „Wenn wir die eine Kurve nicht brechen, wird uns die andere erschlagen“, macht Wentzel deutlich.
Einige Kosten der Pandemie könnten aus volkswirtschaftlicher Sicht direkt benannt und kalkuliert werden. Es gebe einen Rückgang von Konsum und Investition, es komme zu Konkursen und Arbeitslosigkeit. Daraus folgten sinkende Steuereinnahmen. Darüber hinaus würden indirekte Kosten erzeugt, die nicht gemessen werden können, wie der Bildungsnotstand der „Generation Corona“ oder die zunehmende häusliche Gewalt. „Laut einer Schätzung des Ifo-Instituts verursacht eine Woche Lockdown Kosten zwischen 25 und 57 Mrd. Euro. Diese Zahlen sind auf rund drei Monate ausgerichtet. Ich denke aber, dass wir noch viele Jahre mit der Pandemie zu tun haben werden, da uns selbst ein Impfstoff so schnell nicht in einen Vor-Corona-Zustand zurückbringen wird“, so Wentzel. „Sicher ist, dass die Pandemie in dieser Art historisch einzigartig ist, wir die Auswirkungen heute noch nicht abschätzen können – und dass vor allem die einkommensschwachen Schichten davon betroffen sind“, so Dirk Wentzel abschließend.
Wenn man zunächst das Geld mit großen Beträgen – im dreistelligen Milliardenbereich – ausgibt, so muss man später prüfen, wie die Gelder wieder über Steuerreformen reinkommen, so leitete Thomas Stobbe, Professor für Steuern und Wirtschaftsprüfung, zum zweiten Teil des Vortrags über. Im Rahmen der Ausnahme der Schuldenbremse hat der Bundestag in diesem Jahr beschlossen, dass die zusätzlichen Schulden bis 2042 getilgt werden müssen – aber konkrete Planungen der Bundesregierung seien dazu nicht bekannt. Steuermindereinnahmen von etwa 80 bis 100 Milliarden Euro in diesem Jahr, Mehrausgaben über Kurzarbeitergeld, Liquidationshilfen und Kreditkredit und weitere Ausgaben können zu einem neuen Schuldenberg führen. Die Frage sei nun, wie dies finanziert werden und wer diese Lasten tragen könne. Diskutiert würde eine Vermögensabgabe, die dazu führen würde, dass die jetzige Generation bezahlen würde. Wird mit der Abzahlung über andere Abgaben nach 2040 und später gewartet, so sind es die Jungen, die zahlen würden.
Ob das gerecht sei, müssten sich die Politiker und die Zuhörer selbst fragen. Eine Vermögensabgabe, wie sie derzeit unter anderem von Den Linken gefordert würde, dürfe nur einmalig – mit Stundungsmöglichkeit – über mehrere Jahre und nur aus einem wichtigen Grund erhoben werden. Ob die Pandemie mit den zusätzlich erforderlichen Kreditaufnahmen und mit der Ausnahme von der „Schuldenbremse“ ein derartiges Ereignis darstelle, könne aufgrund der nicht abzuschätzenden Folgen noch nicht abschließend gesagt werden.
„Aber wir brauchen Reformen“, so Stobbe. So hat er seine Überlegungen zum Einkommensteuertarif, die an Vorschläge aus verschiedenen politischen Richtungen anknüpfen, angestellt, die eine Erhöhung der Grenzsteuersätze in den oberen Einkommensbereichen bei gleichzeitiger Abschaffung des Solidaritätszuschlags und somit auch eine Vereinfachung des Steuerrechts beinhalten. Eine grundsätzliche Reform der Erbschaft- und Schenkungsteuer mit niedrigeren Freibeträgen, dem Wegfall der zahlreichen Ausnahmen von der Bemessungsgrundlage, kombiniert mit einer erheblichen Senkung der bisherigen Steuersätze könne zu einem erheblichen zusätzlichen Volumen des Erbschaftsteueraufkommens führen und somit ein möglicher Baustein zur Finanzierung der Tilgungspläne der Schuldenbremse als Alternative zur Vermögensabgabe sein. Bei einem Mix der Reform des Einkommensteuertarifes und der Reform der Erbschaft- und Schenkungsteuer wäre sowohl die derzeitige und künftige Generation belastet. Zur Finanzierung der europäischen Schulden können unter Umständen Umweltabgaben herangezogen werden. „Die Politiker müssen überlegen, wen sie mit den Schulden belasten wollen – ob jung oder alt oder beide“, so Thomas Stobbe abschließend.
Nächstes Studium Generale über Klimawandel und die Zukunft der Meere
Am 18. November 2020 setzt das Studium Generale sein Programm virtuell fort. Professor Stefan Rahmstorf, Ph.D. spricht im Livestream über „Klimawandel und die Zukunft der Meere.“ Stefan Rahmstorf ist Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam und leitet die Abteilung Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.
Quelle(n): pm