Ist Corona nun vorbei? (Nein.)

Rufe nach einem möglichst baldigen Lockdown-Ende kommen zu früh. Noch steht der Kessel unter Druck.

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Dass es schon recht bald nach einem deutlichen Sinken der 7-Tage-Inzidenz zu immer lauter werdenden Forderungen nach Beendigung des Lockdowns kommen wird, ist nur allzu verständlich. Die Launen sind gedrückt, die Stimmungen gereizt und die Einschränkungen schmerzhaft für eine offene, freiheitliche Gesellschaft. Ist es aber schon Zeit für ein Ende des Lockdowns? Ist Corona schon vorbei?

Davon kann leider keine Rede sein. Denn was die deutlich gesunkene 7-Tage-Inzidenz aussagt, ist nur ein Teil des Dramas. Das Neuinfektionsgeschehen ist zwar gesunken, die Reproduktionsrate mit derzeit um 0,9 immer noch zu hoch. Mit dieser Reproduktionsrate steckt jeder Infizierte im Durchschnitt 0,9 weitere Menschen an. Das ist zu wenig, um einen nachhaltigen Rückgang zu sichern.

Denn selbst wenn nun wieder Nachverfolgungen von Infektionen möglich wären, sind diese inzwischen viel zu diffus verteilt, um Gruppen ausmachen zu können, die vermeintlich besonders infektionstreibend sind. Um es sinnbildlich zu beschreiben, ist der Vergleich mit einem Dampfdrucktopf passend: Zwar pfeift der inzwischen nicht mehr aus dem Überdruckventil und steht still und leise auf dem Herd – dennoch ist er noch vollkommen unter Druck. Springt die Herdplatte wieder an, pfeift er auch sofort wieder los.

Jetzt die Lockdown-Riegel zu lösen, würde uns innerhalb kürzester Zeit wieder ein großes Neuinfektionsgeschehen bescheren, das mit großer Wahrscheinlichkeit der jetzigen zweiten Welle in nichts nachstehen würde, wenn sie sie nicht sogar deutlich übertrifft. Die Krankenhäuser und Intensivstationen wären innerhalb kürzester Zeit wieder voll. An dieser Stelle zu glauben, man könne ja „ein bisschen Notfall“ in Kauf nehmen, ist organisatorisch und auch ethisch unvertretbar.

Wer jetzt auf die Impfstrategie verweist, zeigt auf ein noch weitgehend ungeschlüpftes Ei: Geimpft werden noch mindestens bis zum Anfang des nächsten Quartals vor allem vulnerable Gruppen der Gesellschaft: Ältere Menschen und Menschen mit schweren Grunderkrankungen. Hier geht es vor allem darum, schwere Verläufe und Sterbefälle zu vermeiden – epidemisch relevant sind diese Personengruppen eher nicht. Das sind vor allem jüngere Menschen und Kinder, die viel mit Altersgenossen in Kontakt sind und im Leben stehen. Hier findet der Großteil der aktiven Verbreitung statt und so lange diese Personengruppen nicht breitflächig geimpft werden können, sind Lockdown-Lockerungen noch weitgehend Utopie.

Die Verantwortung der Politik für ein Lockdown-Ende

Wie soll man da die Initiativen der Pforzheimer Stadtverwaltung bewerten, die schon über die Zeit nach Corona schreibt, Geschäfte geöffnet sehen will und Förderungen für Einzelhandel und Gastronomie in Erwägung zieht? Genau so, wie es zwischen den Zeilen auch steht: Als Planungen, die zur Diskussion stehen. Das darf die Stadtverwaltung und die Rathausspitze nicht nur – das wird in einer vorausschauenden Arbeitsweise auch von ihr erwartet.

Was allerdings fehl am Platze ist und eigentlich eine größere Vorsicht der städtischen Kommunikation erfordert, sind die Erwartungshaltungen, die geschürt werden. Auf Social-Media-Kanälen den Fünf-Punkte-Plan zur Ankurbelung des innerstädtischen Handels mit „So beenden wir den Lockdown“ zu betiteln, ist kontraproduktiv. Denn den Lockdown beendet nicht die Stadt und auch nicht das Land, sondern das Infektionsgeschehen selbst. So lange da der Kessel noch unter Druck steht, kann rein gar nichts beendet werden, wenn wir nicht geradewegs in die nächste Katastrophe fahren wollen.

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Besim Karadeniz (bka), Jahrgang 1975, ist Autor und Erfinder von PF-BITS seit 2016. Er ist beruflich selbstständiger Web-Berater und -Entwickler. Neben PF-BITS betreut er mehrere weitere Online-Projekte und kann auf einen inzwischen über 25-jährigen Online-Erfahrungsschatz zurückblicken. Neben der technischen Betreuung von PF-BITS schreibt er regelmäßig Artikel und Kolumnen.