Wissenschaftler schlagen mit ihrem Konzept Maßnahmen zu einem Umgang mit dem Corona-Virus mit nur punktuellen Einschränkungen vor.
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Nach dem Absinken der maßgeblichen Zahlen zum Infektionsgeschehen kamen alsbald auch Forderungen nach Lockerungen der Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Vor allem die Wirtschaft pocht auf die Aufhebung des Lockdowns, um wieder weitgehend uneingeschränkten Konsum zu ermöglichen.
Deutlich ist aber auch, dass die Corona-Pandemie mit dem weitgehenden Ende der „zweiten Welle“ noch nicht ausgestanden ist, sondern allenfalls zurückgedrängt wurde. Das liegt an mehreren Umständen:
- Das Infektionsgeschehen ist inzwischen weitgehend diffus und kann nicht mehr auf so genannte „Kohorten“, also einzelne Kontaktgruppen mehr begrenzt werden. Es gibt zwar weiterhin einzelne Ausbrüche in Personengruppen, immer häufiger sind aber Corona-Infektionen nicht mehr eindeutig auf einzelne Kontaktpersonen zurückzuführen.
- Das Corona-Virus Sars-CoV-2 mutiert und entwickelt dadurch stabilere und vor allem infektiösere Virengruppen. Ein Beispiel hierzu ist die so genannte „britische Mutante“ mit der offiziellen Bezeichnung „B.1.1.7“, die deutlich potenter ist durch eine höhere Ansteckung und/oder durch eine längere Dauer der Infektiosität von infizierten Personen. Das bedeutet, dass das Infektionsgeschehen auch dann kritisch bleibt, wenn deutlich weniger Menschen infiziert sind.
- Selbst bei einem kurzfristigen Ende des Mangels an Impfstoffen dauert die Durchimpfung von mindestens 60 bis 70 Prozent der Gesellschaft – wenn überhaupt möglich – einige Monate, in der das Infektionsgeschehen nur sehr eingeschränkt über eine Herdenimmunität kontrolliert werden kann.
„NoCovid“ und das Leben mit dem Virus
Der Konzeptname „NoCovid“ führt dabei ein wenig in die Irre, denn es geht bei diesem Konzept, das von einer Gruppe von interdisziplinär arbeitenden Wissenschaftlern vorgestellt wurde, nicht darum, die Corona-Pandemie mit aller Gewalt auf Null zu führen, sondern darum, mit einem möglichst niedrigen Pandemiegeschehen leben zu können. Gedacht war und ist dieses Konzept als Diskussionsgrundlage für die gesellschaftliche Diskussion über den zukünftigen Umgang mit der Corona-Pandemie.
Dazu schlagen die Konzeptersteller Strategien vor, wie sie in Australien und Neuseeland eingesetzt werden und auf einem Stufenmodell in Form eines Ampelsystems basieren. Regionen können grün, gelb oder rot sein und kennzeichnen damit nicht nur das Infektionsgeschehen, sondern auch das damit verbundene Maßnahmenpaket. Während beispielsweise in „grünen“ Regionen weitgehende Lockerungen im öffentlichen Leben möglich sind, gilt das für „rote“ Regionen nicht. Das Kommunizieren dieses einfachen Farbsystems gehört zum Konzept; Bürger sollen in so einem „Wettbewerb“ zum besonders guten Abschneidens ihrer Regionen motiviert werden, auch durch eine öffentlichkeitswirksame Publizierung der aktuellen Werte ihrer Region.
Ziel von „NoCovid“ ist dabei, die 7-Tage-Inzidenz aller Regionen auf den Wert von 5 oder weniger zu drücken. Das heißt: In jeder Region soll es auf 100.000 Einwohner wöchentlich maximal nur fünf Corona-Neuinfektionen geben. Wird dies überschritten, wechselt die Region über in Stufe Gelb, um das Infektionsgeschehen durch die damit verbundenen Einschränkungen wieder einzufangen.
Der Charme von „NoCovid“ liegt dabei auf der Hand. Einschränkungen werden nicht über ein ganzes Bundesland verhängt, sondern können sehr genau auf Infektions-Hotspots konzentriert werden. Ebenso kann eine regelmäßig kommunizierter Stand des Infektionsgeschehens eine sichtbarere Öffnungsperspektive darstellen, wenn sich die Gesellschaft einer Region „zusammenreißt“.
„NoCovid“ und „ZeroCovid“
Verwechselt werden darf das „NoCovid“-Konzept übrigens nicht mit dem so genannte „ZeroCovid“-Konzept. Das letztgenannte Konzept geht einen anderen Ansatz über einen „radikalen Lockdown“ über einen bestimmten Zeitraum, in dem das gesamte gesellschaftliche und wirtschaftliche weitgehend heruntergefahren werden soll. Das, so die Ideengeber dieses Konzeptes, soll dazu führen, dass das Sars-Cov-2-Virus schlicht keine Überträger mehr findet.
Das zentrale Problem beim „ZeroCovid“-Konzept ist die hochkontroverse Forderung, auch die Wirtschaft und weitgehend alle systemrelevante Einrichtungen herunterzufahren beziehungsweise im Falle der Wirtschaft auf konsequente Heimarbeit zu setzen. Zudem müssten in einem „ZeroCovid“-Szenario im Falle von Europa auch weitgehend alle Nachbarländer ähnliche Lockdowns durchsetzen oder der freie Grenzübertritt muss für den Zeitraum eines „ZeroCovid“-Lockdowns stark eingeschränkt werden.
„CovidControl“-Konzept des Robert-Koch-Instituts
In der vergangenen Woche hat das Robert-Koch-Institut mit einem eigenen Konzeptpapier names „CovidControl“ ein Stufenkonzept vorgeschlagen, um die Corona-Pandemie auf einem verantwortbaren Level zu halten. Kernstück sind dabei auch Teile des „NoCovid“-Konzepts, beispielsweise die Einordnung von Maßnahmen im öffentlichen Leben in einem Risikorahmen und die Schaffung eines Katalogs an schnellen Reaktionsmitteln, so bald in einer Region steigende Infektionszahlen gemessen werden.
So werden hier beispielsweise Einrichtungen in Risikogruppen klassifiziert, deren Öffnung dann an ein bestimmtes Infektionsgeschehen – beispielsweise auch darstellbar in einem regionalem Corona-Ampelsystem – gebunden sind. Auch hier versprechen sich die Macher eine bessere Akzeptanz von notwendigen Einschränkungen, wenn mit Einschränkungen gleichzeitig auch eine klar definierte Öffnungsperspektive gegeben wird.
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