Können wir uns Kontakterleichterungen zum jetzigen Pandemiezeitpunkt erlauben? Vermutlich müssen wir es sogar. (Lesezeit: 4 Minuten)
Hinweis: Dies ist ein Archivbeitrag.
Dieser Beitrag ist im Archiv von PF-BITS. Hier eventuell angegebene Telefon- und Kontaktmöglichkeiten sowie Terminangaben sind möglicherweise nicht mehr aktuell.
Die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz in dieser Woche lassen zumindest einige Fragen offen. Ist wirklich die Zeit, auf die 7-Tage-Inzidenz als wichtigster Messwert zu verzichten? Und ist inzwischen klar, ob das Potential zur Vermeidung von schweren Covid-19-Krankheitsverläufen dazu ausreicht, ein erhöhtes Infektionsgeschehen aufzufangen? Und wie sieht all das aus, wenn die Erkältungssaison beginnt? Dass das Infektionsgeschehen zweifellos wieder ansteigt, zeigen die Statistiken – die vierte Welle steht schon längst vor der Türe:
Fragen, die ehrlicherweise niemand wirklich beantworten kann zum jetzigen Zeitpunkt. Ein Vergleich mit den vergangenen drei Infektionswellen helfen nur bedingt, da die derzeit kursierende Delta-Variante des Sars-CoV-2-Virus ein erheblich stärkeres Infektionspotential hat, als frühere Virusvarianten. Und dazu kommt, dass einige Impfstoffe offenbar vor der Delta-Variante weniger gut schützen.
Aus all diesen Hintergründen den Entschluss zu rechtfertigen, es genüge nun, neben den fundamentalen Hygienemaßnahmen wie Maskentragen, Abstandhalten und Händedesinfektion nun darauf zu setzen, dass Besucher von Veranstaltungen, Treffen und der Innengastronomie entweder geimpft, von einer Corona-Infektion genesen oder zumindest getestet sein müssen, ist eine gewagte These.
Bleibt eigentlich nur eine Erklärung für diesen Ideologieschwenk:
„3G“ als Druckmittel
Mit der Bequemlichkeit und dem lieben Geld lässt sich eine Menge Motivation generieren, selbst wenn es um die eigene Gesundheit geht. Dass die allgemeinen „3G“-Regeln ab übernächster Woche (in Baden-Württemberg schon ab nächster Woche) gelten, unterstreicht den Druck, den die Politik hat und durchaus elegant an die noch ungeimpfte Bevölkerung weitergibt. Wer sich nicht impfen lässt, muss regelmäßig Schnelltests nachweisen, die ab Mitte Oktober dann auch noch selbst bezahlt werden müssen. Das kann bei zwei Erwachsenen in einem Haushalt sehr schnell in einen monatlich dreistelligen Geldbetrag gehen.
Gleichzeitig zeigt das Vorziehen des Startzeitpunktes für die „3G“-Regeln in Baden-Württemberg um eine Woche auch nochmal sehr deutlich, wie sehr es der baden-württembergischen Landesregierung auf den Nägeln brennt, dass die Impfquote wieder ansteigt. Denn beginnt erst einmal die Erkältungssaison, dann erschwert dies auch die Impfkampagne deutlich und sorgt in Windeseile für hohen Krankenstand.
Keine Lockdowns mehr?
Auch da braucht es keine sehr große Phantasie, dass die einseitige Verkündung, keinen umfassenden Lockdown mehr zu benötigen, nicht viel mehr als angewandte Hoffnung ist. Steigt das Infektionsgeschehen und füllen sich dann auch wieder die Krankenhausbetten, ist ab einem bestimmten Grad auch eine Kontakte-Vollbremsung in Form eines strengen Lockdowns kaum zu vermeiden. Das gilt insbesondere bei Kindern und jungen Menschen, die bis zu einem Alter von 12 Jahren noch gar nicht geimpft werden können und für Impfungen von Kindern ab 12 Jahren (noch) die Empfehlung der Ständigen Impfkommission aussteht.
Tatsächlich sind wir nun in der Situation, dass die Pandemie in eine so genannte Endemie übergeht. Der Corona-Virus wird so schnell nicht mehr verschwinden und daher geht es jetzt umso mehr darum, Infektionsketten zu unterbrechen. Mit dem Unterschied zu früheren Wellen, dass diese Infektionsketten nun erheblich schwerer einzugrenzen sind.
Die echten Herausforderungen in der Corona-Pandemie beginnen erst gerade. Für einen beherzten Ruck auch für den eingefleischten Impfskeptiker, sich vielleicht doch noch zeitnah impfen zu lassen, wäre genau jetzt der richtige Zeitpunkt. Es gibt fast schon obszön viel Impfstoff und noch ist es nicht zu spät.