Rülke erwartet trotz einer Zusicherung eines maximalen LEA-Privilegs weitere Zuteilungen von Flüchtlingen.
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Zur kommenden Gemeinderatsentscheidung für eine so genannte Willensbekundung zur Ansiedlung einer Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) durch das Land Baden-Württemberg positionieren sich die Stadträte Christof Weisenbacher, Claus Spohn und die FDP-Fraktion.
Weisenbacher und Spohn lehnen eine Erstaufnahmeeinrichtung ab.
Die Stadträte Christof Weisenbacher (WiP) und Claus Spohn (parteilos) werden sich am Dienstag gegen eine Erstaufnahme in Pforzheim aussprechen. In der Diskussion darüber werde das Thema insbesondere von OB Boch auf einen finanziellen Vorteil reduziert, wenn Pforzheim die Einrichtung und damit einhergehend ein so genanntes LEA-Privileg von 100 Prozent bekäme. „Es ist die politische Haltung: ‚Wir wollen keine Geflüchteten in unserer Stadt haben, deshalb unterstützen wir eine EA und sparen damit Millionen im städtischen Haushalt ein.‘ Das ist die Reduzierung Geflüchteter als Kostenfaktor. Wie fühlen sich bei solch einer Diskussion und Argumentation diejenigen Geflüchteten, die heute schon in unserer Stadt leben? Hat sich Herr Boch diese Frage gestellt?“, fragen die Stadträte.
Was ist das "LEA-Privileg"? Das so genannte "LEA-Privileg" stellt eine Zusicherung des Landes gegenüber einer Kommune dar, die eine Landeserstaufnahmeeinrichtung betreibt. Hierbei soll die Kommune, die eine Landeserstaufnahmeeinrichtung beheimatet, bei der Zuteilung von anerkannten Flüchtlingen dahingehend bevorzugt werden, dass diese Zuteilung geringer ausfällt, als für andere Kreise. Das LEA-Privileg von 100 Prozent stellt demnach dar, dass die Kommune überhaupt keine Flüchtlinge zugeteilt bekommen soll, für die sie entsprechend Unterkünfte bereitstellen müsste.
Die Unterkunft Erstaufnahme sei ein „Massenlager“ und als solches abzulehnen. Es gäbe darin kaum Privatsphäre, da dort einquartierte Menschen in der Regel keinen eigenen, abschließbaren Raum hätten. Private Sicherheitsdienste übernähmen teilweise die Aufgaben von Behörden und könnten jederzeit in die Räume. Die Geflüchteten würden beim Ein- und Ausgehen entsprechend gefilzt und die Vorgaben in der Hausordnung seien gesetzeswidrig.
Weisenbacher und Spohn für eine Nutzung der Bader-Immobilie als reguläre Flüchtlingsunterkunft
Für eine Beherbung von anerkannten Flüchtlingen schlagen beide Stadträte mit der Bader-Immobilie just das Gebäude vor, dass als Landeserstaufnahmeeinrichtung auch in der Diskussion steht. Dabei solle die Stadt selbst das Gebäude für drei bis fünf Jahre anmieten, ähnlich wie es auch beim Thales-Gebäude der Fall ist. In dieser Zeit könne die Stadt in Wohnraum und dezentrale Unterkünfte für Geflüchtete investieren. Die Firma Bader, so die Stadträte, könne sich diese Vorgehensweise grundsätzlich vorstellen und es hätte wohl ohnehin schon Gespräche zwischen Stadt und Bader zwecks Anmietung von Flächen gegeben, falls sich der Gemeinderat gegen eine EA entscheide.
Die stets vorgetragene Argumentation, es gäbe keine Flächen für dezentrale Unterkünfte und weiteren Wohnraum, sei insofern heuchlerisch, als dass OB Boch und die Mehrheit des Gemeinderates in den letzten Jahren nichts dafür getan hätten, dass es bezahlbaren Wohnraum gibt. Sowohl die Sozialwohnungsquote als auch ein kommunales Wohnbauförderprogramm wurden abgelehnt, das Vorkaufsrecht bei der Papierfabrik wurde nicht gezogen und zuletzt habe OB Boch der Bebauung des Messplatzes eine Absage erteilt.
Rülke stellt LEA-Privileg von 100 Prozent infrage
Der Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion und Pforzheimer Abgeordnete Dr. Hans-Ulrich Rülke hat währenddessen bei der Landesregierung die Ausgestaltungen sogenannter LEA-Privilegien erfragt, bei denen Kommunen im Gegenzug für die Bereitschaft, Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes für die Unterbringung Geflüchteter auf deren Gemarkung zu akzeptieren, weniger geflüchtete Menschen nach dem Königsteiner Schlüssel zugeteilt werden.
„Ich bin etwas erstaunt, dass Justizministerin Marion Gentges dem Pforzheimer Publikum erklärt hat, Pforzheim bekomme keine weiteren Zuweisungen Geflüchteter, falls die CDU-LEA kommt. Aus ihrer Antwort an mich geht nämlich klar hervor, dass man in Pforzheim nicht erwarten braucht, dass es keine weitere Zuweisung von Geflüchteten gibt, wenn die CDU-LEA am kommenden Dienstag beschlossen werden sollte“, so Rülke. Zahlen aus Ellwangen – dort wird bereits eine Landeserstaufnahmeeinrichtung betrieben – belegten, dass trotz einer Zusicherung eines LEA-Privilegs von 100 Prozent die Zuteilung dennoch nicht bei Null lägen. In Ellwangen seien im Jahr 2022 68 Personen zugewiesen worden, entweder aus zwingenden Gründen wie einer Familienzuführung, aus humanitären Gründen oder auf freiwilliger Basis durch den Kreis.
Die 68 Personen seien zwar viel weniger, als die Aufnahmeverpflichtung nach dem Königsteiner Schlüssel wären, sie beträfen aber bei Familienzusammenführungen einen für Pforzheim „hochrelevanten Bereich“. Lege man die aktuelle Ausländerquote Pforzheims mit 28,7 Prozent zu Grunde, dürfe erwartet werden, dass hier wesentlich mehr solcher Fälle wären, als anderswo in Baden-Württemberg, wo die Ausländerquote insgesamt nur bei 16,4 Prozent liege.