Klingel Gruppe findet keinen Investor. Geschäftsbetrieb bis Ende Januar 2024. Betriebsrat und Gewerkschaft Verdi erheben deutliche Vorwürfe. (Lesezeit: 4 Minuten)
Hinweis: Dies ist ein Archivbeitrag.
Dieser Beitrag ist im Archiv von PF-BITS. Hier eventuell angegebene Telefon- und Kontaktmöglichkeiten sowie Terminangaben sind möglicherweise nicht mehr aktuell.
Für die Klingel-Gruppe als Ganzes konnte trotz intensiver Bemühungen kein Investor gefunden werden, wie die Pressestelle der Gruppe mitteilt. Die Unternehmensgruppe werde den Geschäftsbetrieb bis Ende Januar 2024 fortführen. Anschließend muss der Geschäftsbetrieb des Multichannel-Distanzhändlers eingestellt werden. Das hat der Gläubigerausschuss mit Zustimmung des Sachwalters auf Vorschlag der Eigenverwaltung beschlossen.
Die Klingel-Gruppe befindet sich seit Mai 2023 in einem Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung. Hauptgesellschaft der Unternehmensgruppe ist die K-Mail Order GmbH & Co. KG. Die Geschäftsaktivität der SCHNEIDER GmbH & Co. KG ist von der Einstellung des Geschäftsbetriebs nicht betroffen.
Betriebsrat „fassungslos“
Dass das Unternehmen in den letzten Jahren in immer unruhigeres Fahrwasser geriet, sei zwar auch
dem Betriebsrat bekannt gewesen, so der Betriebsrat in einer eigenen Mitteilung. Wie prekär die Situation allerdings ist, ergab sich auch für den Betriebsrat in dieser Deutlichkeit erst, nachdem im Rahmen der im Mai angeordneten Insolvenz in Eigenverwaltung durch Einschaltung externer Berater eine „transparente Beleuchtung der Unternehmenskennzahlen und eine ebenso transparente Kommunikation derselben gegenüber dem Betriebsrat“ erfolgte. Es sei, Zitat, „unbegreiflich, wie vor diesem Hintergrund von Seiten der bisherigen Geschäftsleitung bislang wiederholt völlig realitätsfremde optimistische Zukunftsprognosen gemacht werden konnten.“ Nicht anders sei es zu erklären, dass das Unternehmen, das in mehreren Gremien und Institutionen, wie einer aus mehreren Geschäftsführern bestehenden Geschäftsleitung, einem aus „Fachleuten“ bestehenden Beirat und den Gesellschaftern, allen voran der Familie Kohm, sich „nicht im Stande sah, um der Situation entsprechend zu agieren“. All diese Ebenen hätten aus Sicht des Betriebsrats versagt.
Dem Betriebsrat blieb deshalb nur noch übrig, mit Unterstützung der Gewerkschaft ver.di und
seinem rechtlichen Berater, Rechtsanwalt Markus Nagel von der Kanzlei SFW Fachanwälte für
Arbeitsrecht, das Bestmögliche für die Arbeitnehmer zu erreichen. Viel mehr als überschaubare
Abfindungsregelungen innerhalb der in einem solchen Fall geltenden gesetzlichen Grenzen und
Unterstützung bei der Suche nach neuen Arbeitsplätzen seien allerdings nicht zu machen gewesen.
Der Betriebsrat ist überzeugt davon, dass die nunmehr zu treffenden „schmerzhaften Einschnitte“ in
dieser drastischen Form nicht notwendig geworden wären, wenn von den oben genannten Gremien
ebenso offen und ehrlich agiert und kommuniziert worden wäre, wie dies nach Einschaltung der
externen Beratung der Fall war und rechtzeitig notwendige Maßnahmen ergriffen worden wären.
Die Folge daraus sei nun, dass die Arbeitnehmer, die teilweise seit Jahrzehnten bei Klingel beschäftigt
waren und die hieran am wenigsten Schuld tragen, den höchsten Preis für dieses Versagen zahlen
und nun vor dem Scherbenhaufen ihres Berufslebens stehen.
Gewerkschaft Verdi vermutet „Versäumnisse der
Unternehmensführung“
Für die Gewerkschaft Verdi kommt die Einstellung des Geschäftsbetriebes „völlig überraschend“.„Wir bedauern die nun eingetretene Situation zutiefst, deren Folgen eine Katastrophe für die Beschäftigten und deren Familien sind. Sie sind zuvorderst die Leidtragenden. Wir gehen davon aus, dass die Verantwortung für dieses Desaster bei der Unternehmensführung liegt, die es anscheinend versäumt hat, rechtzeitig die notwendigen Entscheidungen zu treffen und die Weichen für eine sichere Zukunft des Unternehmens zu stellen, damit die Arbeitsplätze erhalten bleiben. Diese Einschätzung ziehen wir aus den Schilderungen des Betriebsrats wie auch von Beschäftigten“, so der zuständige Verdi-Sekretär Robin Weller.
Im Rahmen der „engen Zusammenarbeit“ von Verdi mit dem Betriebsrat und durch Hinweise von Verdi-Mitgliedern wurde von „Umstellungsproblemen nach der Einführung von technischen Systemen“ berichtet. Zusätzlich sei bekannt gewesen, dass „Umsatzrückgänge, hohe Kosten und die Inflation das Unternehmen belasten“.
Nach Verdi-Informationen sind von der Aufgabe des Geschäftsbetriebes mehr als 1.500 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer betroffen, die fast ausschließlich am Standort Pforzheim beschäftigt sind. Ein Interessenausgleich und Sozialplan wurden bereits zwischen Betriebsrat und Unternehmensleitung verhandelt. Verdi werde den Betriebsrat und die Beschäftigten in dieser
schwierigen Situation weiter beraten und unterstützen.