Schweizer Psychiater und Psychotherapeut Professor Dr. Gregor Hasler klärt an Hochschule Pforzheim über Stress auf.
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„Das hat sich ja ein bisschen angefühlt wie eine Gruppentherapie, aber mit viel Humor“, scherzt eine Studentin auf dem Weg aus dem Audimax der Hochschule Pforzheim. Ein Gast aus Karlsruhe resümiert: „Hier nimmt man richtig was mit, er hatte eine hohe Informationsdichte, aber gut aufbereitet – im besten Sinne populärwissenschaftlich. Mir hat es wirklich sehr gut gefallen“. Diese begeisterten Rückmeldungen spiegeln das lebhafte Interesse und die positive Resonanz auf den Vortrag von Professor Dr. Gregor Hasler wider. Der renommierte Stress-Forscher eröffnete das Studium Generale im Wintersemester 23/24 mit seinem Vortrag zum Thema: „Resilienz – Der Schlüssel zur persönlichen Widerstandskraft“. Dabei verstand es der Schweizer die knapp 500 Besucherinnen und Besucher im Walter-Witzemann- Hörsaal nicht nur zu informieren, sondern auch zum Lachen zu bringen. Auch online haben bis Freitagvormittag knapp 1200 Menschen die Aufzeichnung angesehen – ein weiterer Beleg für die exzellente Themenauswahl der beiden wissenschaftlichen Leiterinnen des Studium Generale Prof. Dr. Frauke Sander und Prof. Dr. Nadine Walter.
In seinem Vortrag wies Gregor Hasler zunächst auf einen bemerkenswerten Trend hin: Der gefühlte Stress der Menschen habe in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich zugenommen. Auch in der Arbeitswelt trifft das zu: In den letzten drei Jahrzehnten stieg das Stressniveau von Angestellten um ca. 20 Prozent. Dieser Anstieg werde häufig mit Faktoren wie Zeitdruck, sozialer Diskriminierung und unklaren Arbeitsanweisungen begründet. Interessanterweise stellte Hasler fest, dass jene Begründungen aber aus wissenschaftlicher Sicht nicht belegbar seien: „Aus einer Forschungsperspektive betrachtet muss ich sagen, dass die Menschen in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg deutlich mehr arbeiten mussten als heute. Damit ist eine Mail in der Freizeit sicher nicht vergleichbar. Also ist der Faktor Zeitdruck nicht objektiv“, veranschaulicht er an einem konkreten Beispiel. Der Neurowissenschaftler forderte daher dazu auf, die Stresskrise als ein komplexes Problem zu verstehen, das sich nicht auf einen einzigen Auslöser zurückführen lässt. Vielmehr müsse man die allmählichen Veränderungen in unserer Lebensweise und unserer Umgebung betrachten, um eine umfassende Erklärung für die steigende Stressbelastung zu finden.
„Menschen fällt es schwer zu sagen, warum sie gestresst sind“, erklärte Hasler und beleuchtete in seinem Vortrag die vielfältigen Ursachen von Stress. Dabei brachte er unter anderem die Bedeutung einer „Balanceregel“ ein: „Es ist die Balance aus Stress und Belohnung, die die Stressreaktion ausmacht. Das heißt wenn ich eine anstrengende Aufgabe habe und sehr gut dafür bezahlt werde oder Anerkennung bekomme, dann sind die Leute meistens weniger gestresst als Menschen die weniger Geld bekommen oder gar keins“. Weitere Faktoren für Stress seien ungesunde Ernährung, die erhöhte Social Media Screentime sowie der gestiegene Konkurrenzdruck in unserer Leistungsgesellschaft. Dieser Druck sei im Kontext der menschlichen Evolutionsgeschichte entstanden als Menschen sesshaft wurden und Ungleichheit sowie Hierarchien zunahmen. Der Mensch sei nämlich eben gerade kein „Hierarchiewesen“: „Auch gegenüber Affen ist der Mensch vergleichsweise viel egalitärer, unsere Fairnessbedürfnisse sind gewaltig“ erläutert er. Als Reaktion auf eine mangelnde „Hack-Resilienz“ könnten dann sogar Depressionen ein Mittel der Deeskalation für soziale Konflikte sein.
Im beruflichen Kontext brachte Hasler folgende Stressfaktoren ein: Administrierung und Digitalisierung – jene würden das Gefühl von „Überkontrolle“ verursachen und somit Druck erzeugen. Zusätzlich nehme die Identifikation mit der Arbeit durch häufigen Arbeitsplatzwechsel und Umstrukturierungen ab.
Strategien zur Steigerung der Resilienz
Doch was kann nun jeder gegen ein zu hohes Stresslevel tun? Bei der Vielzahl von Strategien, die der Schweizer Psychiater zur Steigerung der persönlichen Resilienz mitgebracht hatte, wurde jede*r fündig. In einigen Fällen wäre es hilfreich, auf bewusste Vermeidung zu setzen. Mit einem Augenzwinkern bringt der Neurowissenschaftler folgendes Beispiel an: „Wir haben da einen Politiker in der Schweiz, der sieht immer sehr entspannt aus und er hat kürzlich sein Geheimnis verraten – er liest einfach nie Zeitung. Die schreiben wirklich schreckliche Dinge über ihn aber er liest sie gar nicht – das ist wirklich clever“. Hasler hob zudem die Schlüsselrolle der Ernährung hervor und empfahl eine „Anti-Stress-Ernährung“ mit Schwerpunkt auf Gemüse, Nüssen, Olivenöl, fermentierten Lebensmitteln und Fisch. Nahrungsergänzungsmittel betrachtete er dabei kritisch, ein positiver Effekt auf die Resilienz sei hier nicht festzustellen.
Besonders hervor hob er außerdem die Bedeutung von Freunden und ganz allgemein Menschen in direkter räumlicher Nähe. Diese Beziehungen seien äußerst wichtig für die Resilienz, da sie ein Gefühl von Sicherheit vermitteln und endorphinreiche Aktivitäten wie Chorsingen, Gelächter, Tanzen, Berührungen oder auch Geschichtenerzählen ermöglichen. Dementsprechend seien häufige Umzüge und die Digitalisierung Risikofaktoren. Zu guter Letzt legte Hasler den Zuhörer*innen nahe, im Hier und Jetzt zu leben und regte mit einem Zitat von Eckhart Tolle zum Nachdenken an: „Die meisten Menschen sind nie ganz im Jetzt präsent, weil sie unbewusst glauben, dass der nächste Moment wichtiger sein muss als dieser. Aber dann verpasst man sein ganzes Leben“.
Prof. Dr. Frauke Sander, eine der Organisatorinnen des Studium Generale, zieht zur Eröffnung der Fragerunde ein humorreiches Fazit: „Ich schnappe mir also Trauben, Emmentaler Käse, gehe zu meiner Nachbarin und beim gemeinsamen Essen sprechen wir über unseren Tag“. Wie fasziniert auch das Publikum von der Themenauswahl ist, wird deutlich, als es bis in den späten Abend hinein Frage um Frage stellt, um im Anschluss beim gemütlichen Umtrunk weiter zu diskutieren.
Quelle(n): pm