Ein Meinungsbeitrag zu einem knallharten Flaggenkrimi, der auch als Sommerlochglosse verstanden werden kann.
(Lesezeit: 8 Minuten)Das ging dieses Jahr schnell: Schon rund um den ersten Sommerferientag ist der Sommerloch-Schocker in Pforzheim gelandet, passend zum rechtslastiger gewordenen Aufbau des neuen Gemeinderates und all dem etwas ungeschickt zelebrierten I-love-PF-Lokalpatriotismus. Eine Sommerloch-Story, die in die Geschichte eingehen dürfte.
Kurz zusammengefasst: Es geht um eine Flagge. Nämlich einer Bundesflagge, die, sagen wir so, ein wenig unbeholfen an einer wackeligen Stange auf dem Sprungturm des Wartbergbades montiert wurde, so wie man es beispielsweise vom Campingplatz kennt, wenn der Wohnwagenbesitzer vermeintlich seinen Claim markieren will. (Dieser Vergleich ist beabsichtigt, Erklärung folgt.)
Jedenfalls verschwand diese Flagge, die dort nach Angaben der Stadt seit vielen Jahren hängt, plötzlich, was, ja, gerade in Pforzheim, aber ganz schnell zu einem Politikum werden kann.
Eskalation Stufe 1
Und auch wurde, denn eine stramm rechte Website, die als Nachrichtenportal verstanden werden will, konstruierte aus dem Umstand einen handfesten Skandal, nämlich dass die Verwaltung angeblich die Bundesflagge im Bad verboten habe, natürlich, wegen den vielen Ausländern dort. Eine Geschichte, die in den Kreise der Konservativen und der stramm Rechten, passend zum Sommer, eine dankbare Story ist.
Hätte man vorher recherchieren können, was an der Geschichte dran ist? Wäre nicht schlecht gewesen, ist natürlich aber auch viel Arbeit für eine Geschichte, die sich nach der Recherche dann möglicherweise als gar keine so wirklich brauchbare Geschichte darstellen könnte. Da schließlich auch der Begriff „Fake News“ das Wort „News“ enthält und eben Sommerloch ist: Vollgas!
Eskalation Stufe 2
Selbst Peter Hahne, einst ZDF-Nachrichtensprecher, im Selbstverständnis ein Journalist, aber laut Wikipedia konservativer „Fernsehmoderator und Autor“, pickte sich diese Geschichte für seine Mittwochslektüre in einem „liberal-konservativen Meinungsmagazin“ aus und dreht schon in der Einleitung für sein Pamphlet das ganz große Rad, wobei man dabei wissen muss, dass Hahne sich emsig an der CDU abarbeitet:
„Es ist die CDU, die Städte regiert, in denen Bandenkriege herrschen und Messerattentate zum Alltag gehören. Es ist die CDU, die vielfältige Städte mit Moscheen will. Es ist die CDU, die das Verbrennerverbot wollte. Und es ist die CDU, die Deutschlandfahnen einholen lässt. Was ist aus der Partei von Adenauer und Kohl geworden?“
Peter Hahne in einem Artikel auf der Website „Tichys Einblick“
Wow! Stadtbeherrschungen, Bandenkriege, Messerattacken, Moscheen, Verbrennerverbot und dann auch noch der vermeintliche Verbot der Deutschlandfahne. Das muss ja mal eine richtig knüppeldick daherkommende Partei sein, diese CDU!
(Wir rekapitulieren kurz: Es geht um eine etwas unbeholfen gehisste Bundesflagge an einer wackeligen Stange auf dem Sprungturm des Wartbergfreibades im Campingplatz-Style.)
Eskalation Stufe 3
Eine vorherige Recherche wäre vermutlich auch für CDU-Stadtrat Johannes Lemke ein empfehlenswerter Rat gewesen, kennt man doch die Wege im Rathaus und als Parteifreund von Oberbürgermeister Peter Boch sicherlich auch seine Handynummer. Jedenfalls verschickt Lemke am Freitagmorgen eine Pressemitteilung und beschwert sich, dass das Entfernen „eine Unverschämtheit“ sei. Man verbinde, so Lemke, „mit unseren nationalstaatlichen Symbolen auch unser Bekenntnis zur Bundesrepublik Deutschland und zu unseren Werten“. Und weiter: „Wie weit sind wir nur gekommen, dass wir uns schon rechtfertigen müssen, nationalstaatliche Symbolik zu vertreten?“
(Noch einmal ganz kurz eingerückt: Es geht um eine etwas unbeholfen gehisste Bundesflagge an einer wackeligen Stange auf dem Sprungturm des Wartbergfreibades im Campingplatz-Style.)
Eskalation Stufe 4
Just auch am Freitag kommt es für Oberbürgermeister Peter Boch so kurz vor dem Wochenende dann ganz dicke – hat er doch einen Termin im Wartbergfreibad, aber aus einem ganz anderen Grund. Geht es da doch um den „Aktionstag Schwimmen“ (ja, auch geschwommen wird offenkundig im Wartbergfreibad noch) und um die sehr berechtigte Sorge, dass immer mehr Kinder und Jugendliche nicht schwimmen können und sich hier Stadt und Förderverein des Wartbergfreibades mit vielerlei Aktionen und Kursen bemühen, dem entgegenzuwirken (übrigens mit Erfolg).
Also schiebt die Pressestelle die undankbare Aufgabe an, die Bundesflaggenmisere aufzuräumen mit einer Pressemitteilung, die wir ausnahmsweise im Wortlaut abbilden, um die Deutlichkeit zu unterstreichen:
Aufgrund der aktuell sehr hitzigen Diskussion um die Deutschladfahne im Wartbergbad, möchten wir folgendes klarstellen:
Die Fahne wurde aus Sicherheitsgründen von der Bäderleitung abgenommen, da dort aktuell keine ordnungsgemäße Vorrichtung zur Anbringung vorhanden ist. Entgegengesetzte Meldungen, die Fahne sei von der Rathausspitze verboten worden, sind falsch. Es handelte sich um eine Entscheidung im laufenden Geschäft des Bäderbetriebs.
Oberbürgermeister Peter Boch wird Freitagnachmittag im Bad sein, um den Aktionstag Schwimmen zu bewerben. Bei dieser Gelegenheit wird er sich auch die Gegebenheiten am Sprungturm anschauen. Klar ist aber für ihn, wie für Ersten Bürgermeister Dirk Büscher, dass ein Mast oder eine andere ordnungsgemäße Vorrichtung hermuss, damit dort Flaggen wehen können. „Wir haben allen Grund stolz zu sein auf unsere Stadt und auf unser Land. Das dürfen wir auch nach außen zeigen. Ich möchte daher, dass künftig neben der Deutschlandfahne auch die Pforzheim-Flagge am Turm angebracht wird. Für uns stand das auch nie in Frage“, so der Rathauschef.
Alter! Eine alberne Geschichte so aufzuschaukeln, dass man also, kühn zusammengefasst, trotz der ganzen Entwicklung dieser Posse, dennoch alle Grund haben können müsse, stolz auf Stadt und Land zu sein, das bringt der Autor dieser Geschichte – und der kann Sarkasmus – selbst in einer Glosse nicht hin. Als ob es der Patriotismus und der Besitz des korrekten Reisepasses ist, der dazu einlädt, ins Freibad zu gehen. Freibad, zwischen Bundesflagge, vielleicht auch Nationalhymne und eventuell folgender Leibesertüchtigung.
Eskalation Stufe 5
Freitagnachmittag, halb drei, die Stadt meldet via Pressemitteilung und Beweisfoto Vollzug: Die territoriale Integrität des Wartbergbades konnte wiederhergestellt werden mit der Aufstellung eines korrekten Flaggenmastes nebst dort aufgezogener Bundesflagge.
Und zwar jetzt übrigens korrekt. Den offiziell beflaggt werden darf in öffentlichen Räumen nur, wenn auch eine gewisse Würde eingehalten wird. Will heißen: Bundes-, Landes- und Stadtflagge kann man nicht einfach so an einer Autoantenne o.ä. aufhängen, sondern braucht dazu einen richtigen Flaggenmast.
Freilich: Es ist natürlich, sagen wir so, ein wenig merkwürdig, warum nun in einem Freibad einer Stadt nun mitten im Gelände neben dem Sprungbecken etwas verloren ein stattlicher Flaggenmast mit einer wehenden Bundesflagge weht und bald wohl auch noch ein Bruder bekommt. Weil man ja offiziell üblicherweise auf oder vor einer öffentlichen Einrichtung flaggt und bei einer kommunalen Einrichtung üblicherweise auch nur mit der Stadtflagge. Ob jetzt also die Bundesflagge trotz korrektem Flaggenmast hier an würdiger Stelle aufgezogen ist, lässt Raum für Interpretationen, aber auf den Autor dieses Textes hört sowieso niemand.
Eskalation Bonusstufe
Liebe Leute, die ihr alle an dieser Posse an vielen Stellen herumgeschrieben habt! Hier ein paar Korrekturen, damit es bei solchen Themen zukünftig nicht zu Ohnmachtsanfällen bei Flaggenbeauftragten, Bundeswehrangehörigen et cetera kommt:
- Es ist nicht die „Fahne“, sondern die Flagge. Die Fahne ist in der Regel ein einmaliges Motiv und fest an einem Mast angebracht. Das, was Nationen zur Auszeichnung nutzen, sind Flaggen.
- Flaggen werden an einem dafür hergerichteten, repräsentativen Mast aufgezogen und an keine Stange gehängt.
- Und es ist nicht die „Deutschlandfahne“, sondern die Bundesflagge.