Wie immer: Alles ein wenig komplizierter. Ein neuer, elend langer Beitrag für Bescheidwisser, passend zum aktuellen Dirndl-Abend. Es darf zitiert werden.
(Lesezeit: 5 Minuten)Es gibt sie, die PF-BITS-Leser, die sich offenkundig Notizen machen. So auch ein an dieser Stelle nicht zu nennender Leser, der mich vor einigen Wochen darauf hingewiesen hat, dass zum Thema Oechsle-Fest von mir noch ein dickeres Brett zu bohren sei. Da musste ich erst einmal selbst nachlesen, was ich da angestellt hatte:
Irgendwann befassen wir uns übrigens auch noch mit dem Dirndl, der nun wirklich überhaupt nichts mit hier heimischem Brauchtum zu tun hat. Dieses wirklich ganz dicke Brett recherchieren wir dann zur Oechsle-Fest-Halbzeit im nächsten Jahr.
Also gut. Ein Thema, das in Pforzheim mit gebotener Sensibilität zu recherchieren ist, ist doch der Dirndl-Abend inzwischen im Rahmen des Oechsle-Fests ein Programmhöhepunkt und eine echte Institution. Und der findet übrigens am heutigen Samstag statt, so viel unbezahlte Werbung sei gestattet.
Was der Dirndl historisch mit Pforzheim und der Region zu tun hat
Kurz zusammengefasst: Nichts. Aber es gibt kein Nichts ohne nichts und da gibt es einen Punkt in Pforzheims Geschichte. Genau genommen nämlich während des Dreißigjährigen Kriegs von 1618 bis 1648. Da gehörte nämlich Pforzheim von 1635 bis 1645 faktisch – zu Bayern. Beziehungsweise war von bayerischen Truppen besetzt, nachdem die Stadt von kaiserlichen und schwedischen (!) Truppen befreit wurde, die von 1624 bis 1635 Pforzheim von der Markgrafschaft Baden-Durlach abtrennten. So können sich also beispielsweise Pforzheimer Fußballfans des FC Bayern Münchens nun problemlos auf diesen historischen Bezug berufen.
Der Dirndl als vermeintlich die bayerische Trachtenmode ist allerdings, man glaubt es kaum, eine schnöde neuzeitliche Modeerscheinung und wurde rund um das Jahr 1900 erfunden. Und auch nicht auf dem bayerischen Land, wie man Trachtenmode am ehesten verorten würde, sondern richtig mitten in München.
Ein Protagonist dieser Modeentwicklung war das Trachtenhaus Wallach in München, das, und das kommt jetzt auch noch als wenig bayerischer Vermerk dazu, von den Brüdern Moritz und Julius Wallach geführt wurde, die beide aus Nordrhein-Westfalen stammen. Hintergrund, und wir zitieren jetzt die Wikipedia, war „der in der Heimatliteratur immer wieder kolportierte Gegensatz zwischen dem angeblich natürlichen, unverdorbenen und unverfälschten Landvolk und der Künstlichkeit und Verworfenheit der Stadtgesellschaft“. Und irgendwann landete der Dirndl dann auch in der Weinkultur, die ja keine städtische, sondern eine ländliche Kultur ist.
Kurzum: Nix is mit bayerischer Landestracht im Sinne von „Haute Couture“, sondern wir sprechen am ehesten von Prêt-à-porter im Sinne von Massenware. Und das von Anfang an. Dass sich im Dritten Reich die Nationalsozialisten der Trachtenmode und im speziellen des Dirndls verschrieben hatten, um auch damit eine „völkische Reinheit“ zu transportieren, ist, wie so vieles aus dieser Zeit, ein Treppenwitz der Geschichte. Zumal die Gebrüder Wallach, also die Herren, die den Dirndl in München erfunden und vermarktet hatten, Juden waren.
Die Tradition des Dirndl auf dem Oechsle-Fest
Kann man jetzt eigentlich überhaupt noch die Worte „Dirndl“ und „Tradition“ in räumlichem Zusammenhang verwenden? Im Prinzip, frei nach Radio Eriwan, schon. Denn tatsächlich hat der Dirndl-Abend im Oechslefest mehr mit Tradition zu tun, als der Dirndl selbst.
Eingeführt wurde der erste Dirndl-Abend des Oechsle-Fests, so die Auskunft von Oechsle-Fest-Mitorganisatorin Annette De Gaetano, im Rahmen des 25. Oechsle-Fests im Jahr 2010 als einer der Themenabende. Und im Gegensatz zu den anderen Themenabenden lebt der Dirndl-Abend eben nicht einfach nur vom Wein, sondern vom Mitmachen der Protagonisten – der Besucher. Der Begriff des „Kostümabends“ ist jetzt ein wenig böse, trifft es dann aber am ehesten. Aber auch ein Kostümabend kann ja eine Tradition darstellen.
Annette De Gaetano streicht aber auch noch einen anderen, bestechenden Aspekt heraus. Auf den Dirndl-Abend könne man sich vorfreuen, beispielsweise mit dem Kauf eines passenden Dirndls, was im Rahmen der Einführung des Dirndl-Abends von vielen Pforzheimer Einzelhändlern damals auch tatkräftig befördert wurde. Aber auch der Tag des Dirndl-Abends werde so zelebriert. Man macht sich adrett im Sinne eines Ausgeh-Anzugs, jeder sieht es (und soll es auch sehen) und ja, hier sind wir dann tatsächlich bei einer handfesten Tradition.