Ausbruch Anfang 2020 ist zurückzuführen auf "kalte und feuchte Arbeitsumgebung" und nicht auf enge Unterkünfte.
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Die kalte und feuchte Arbeitsumgebung hat die Ausbreitung des Corona-Virus zu Beginn der Corona-Pandemie im März 2020 im Birkenfelder Unternehmen Müller Fleisch begünstigt. Zu diesem Ergebnis kommt eine wissenschaftliche Aufarbeitung des Ausbruchs, der im Frühjahr 2020 nicht nur die Region in Atem gehalten hat. Verfasst wurde die Abhandlung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Gesundheitsamtes und des Veterinäramtes beim Landratsamt Enzkreis sowie des Landesgesundheitsamtes. Fast auf den Tag genau zwei Jahre nach Auftreten der ersten Corona-Fälle bei Müller Fleisch ist die Abhandlung nun in der Fachzeitschrift „Eurosurveillance“ erschienen. Das Blatt wird vom „Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten“ (ECDC), einer Agentur der Europäischen Union, herausgegeben.
„Der Ausbruch bei Müller-Fleisch war der bis dato größte Ausbruch im Enzkreis, in der fleischverarbeitenden Industrie in Baden-Württemberg und – bis zum Ausbruch bei Tönnies – der größte in Deutschland“, lässt die Leiterin des Gesundheitsamtes, Dr. Brigitte Joggerst, die für alle Beteiligten aufregende Zeit Revue passieren; insgesamt hatten sich damals über 400 Beschäftigte der Firma infiziert. „Laut der Analyse waren vor allem die Arbeitsbedingungen in der fleischverarbeitenden Industrie an der raschen Verbreitung des Virus schuld: Aufgrund der kalten, feuchten Umgebung – die Arbeitstemperaturen betragen in der Regel 4 bis 7 Grad Celsius – hält sich das Virus dort lange“, erläutert Joggerst die Hintergründe. „Betroffen waren daher vor allem Menschen, die in der Schlachtung und der Fleischverarbeitung beschäftigt sind, darunter auch Bedienstete unseres Amtes“, ergänzt Dr. Linda Koiou, die das Verbraucherschutz- und Veterinäramt leitet.
Vor allem Arbeitsmigranten infiziert
Auffällig war nach Worten von Joggerst auch, dass vor allem Arbeitsmigranten infiziert waren, insbesondere Menschen aus Rumänien und Bulgarien. Schnell kam daher auch die Überlegung auf, ob nicht auch die engen Unterkünfte – Betroffene mussten sich damals oft zu dritt oder viert ein Zimmer teilen – und der gemeinsame, ebenfalls oft beengte Transport zur Arbeit Risikofaktoren darstellen. „Das konnte im Rahmen der wissenschaftlichen Untersuchung allerdings nicht bestätigt werden“, so Joggerst.
Fast alle Erkrankungen von bei Müller Fleisch Beschäftigten verliefen glimpflich; zu Todesfällen wegen Corona sei es innerhalb der Belegschaft nicht gekommen. Ende Mai 2020 war der Ausbruch – nach Tausenden von Testungen – beendet, nachdem zwei Wochen lang keine neuen Fälle mehr registriert wurden. An anderen Standorten der Fleischindustrie hingegen ging es zu diesem Zeitpunkt erst los: Zunächst in Coesfeld und Bad Bramstedt, später bei Deutschlands größtem Fleisch verarbeitenden Unternehmen Tönnies in Rheda-Wiedenbrück mit allein 1.400 Infizierten.
Erfahrungen im Enzkreis gefragt bei anderen Vorfällen
Expertinnen und Kollegen der dortigen Ämter informierten sich über die Maßnahmen und Erfahrungen im Enzkreis, so beispielsweise über die seinerzeit für die rund 1100-köpfige multinationale Müller-Fleisch-Belegschaft angeordnete Arbeitsquarantäne. Auch die Politik zog Konsequenzen und beschloss strengere Regeln für die Fleischindustrie. Und das Unternehmen Müller Fleisch passte sein bisheriges betriebliches Hygienekonzept an, was schließlich in einen auf eine langfristige und nachhaltige Lösung angelegten „Pandemieplan 2.0“ mündete.
„Auch wenn es für alle Beteiligten nervenaufreibende Wochen waren, gelang es in einer tollen Gemeinschaftsleistung, das Geschehen frühzeitig in geordnete Bahnen zu lenken, das Virus in einem geschlossenen System zu halten und damit die Gesundheit zahlreicher Menschen zu schützen“, so das Fazit von Landrat Bastian Rosenau. „Ich freue mich sehr, dass unsere Erfahrungen in diesem Bereich nun auch europaweit Beachtung finden und Kolleginnen und Kollegen, die eine ähnliche Krise zu managen haben, vielleicht als Blaupause dienen können. Natürlich hoffe ich, dass das nirgends mehr erforderlich sein wird.“
Quelle(n): pm